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Der Streit

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Innerlich aufgebracht ging sie zur Bushaltestelle. Warum trafen sie sich noch, wenn es in letzter Zeit jedes Mal mit einem Streit endete? In Gedanken versunken bezahlte sie rasch den Fahrschein beim Automaten, dann kam der Bus auch schon angerollt. Den Fahrschein steckte sie hektisch in ihre Manteltasche, zu den anderen, die bereits ungültig waren. Irgendwann sollte sie die mal wegwerfen, dachte sie. Aber meistens vergaß sie den Gedanken, bis sie zu Hause angekommen war, so vermehrten sie sich weiter und füllten ihre Taschen, samt gebrauchten, zerknüllten Papiertaschentücher. Im hinteren Teil des Busses fand sie einen Sitzplatz und setzte sich. Schon ging der Gedankenkarussell in ihrem Kopf von vorne los. Wer war schuld? Wer hat was gesagt? Wer hat was gedacht und etwas anderes gesagt? Warum hat er dies und jenes zu ihr gesagt? Wieso hat er sich nicht dafür entschuldigt, wenn er es angeblich nicht so gemeint hatte? Aber sie kam nicht weiter, sie steigerte sich immer tiefer in die Situation, die sie so ärgerte, hinein.

Sie hat nicht einmal gemerkt, dass ein Mann vor ihr stand und sie bereits mehrmals aufforderte, ihm ihren Fahrschein zu zeigen. Bitte, was? Ach so, Fahrscheinkontrolle! Sie murmelte ein paar unverständliche Worte zur Entschuldigung ihrer geistigen Abwesenheit und öffnete ihre Handtasche, in der sie herumzukramen begann. Aber sie fand den Fahrschein nicht. Ratlos blickte sie ins Gesicht des Kontrolleurs, der geduldig zu warten schien. Er glaubte sie schon am Haken zu haben, das konnte sie förmlich spüren. Plötzlich hörte sie die Ansage für die nächste Haltestelle, sie war die Ihre, dort musste sie aussteigen. Ihre Gedanken drifteten wieder ab, sie sah sein zorniges Gesicht vor sich, wie er sie angeschrien hatte. Ganz schön cholerisch, dachte sie, aber das wusste sie ja bereits; so etwas kann man nicht lange verbergen. Und trotzdem liebte sie ihn. Auch wenn sie sich durch sein Geschrei oft ungerecht und gedemütigt behandelt fühlte. Das Schlimmste aber war, dass er sich nie bei ihr dafür entschuldigt hatte, immer musste sie nach einem dummen Streit den ersten Schritt tun, um ihn aus seiner Schmollecke wieder herauszuholen.

Ihren Fahrschein bitte!, hörte sie plötzlich die Aufforderung erneut und dann wusste sie wieder, wo sie war - im Autobus. Der Bus begann zu bremsen, er näherte sich schon der nächsten Haltestelle, wo sie ja aussteigen musste. Sie machte hektische Anstalten, um  aufzustehen, ihren Sitzplatz zu verlassen, doch der Kontrolleur versperrte ihr den Weg, als er merkte, was sie vorhatte. Nein, nein, mein Fräulein, so nicht!, sagte er laut, sodass alle Fahrgäste nach hinten geblickt hatten. Oh, jetzt wird's spannend, dass muss man sich live geben!, dachten sie wahrscheinlich alle. Eine junge Frau, die schummelt und keinen Fahrschein gekauft hat! Oha, was für eine Sensation! In dieser von Hochspannung geladener Situation hatte sie plötzlich einen Gedankenblitz - die Manteltasche! Noch bei ihrem Sitzplatz stehend griff sie rasch in ihre Tasche und holte eine Handvoll teils zerknitterter Fahrscheine hervor, wobei ein paar gebrauchte, zerknüllte Papiertaschentücher lautlos zu Boden fielen. Wen kümmert's! Sie muss doch aussteigen! Jetzt! Sie drückte alle Fahrscheine in die ausgestreckte Hand des Kontrolleurs, der sein Gleichgewicht kurz zu verlieren schien, als der Bus abgebremst hatte und ihr somit nicht mehr im Weg stand.

Hier! Da haben Sie gleich mehrere, eine muss der richtige sein! - sagte sie schnell und stürmte aus dem Bus. Fast wäre ihr linker Fuß in der schließenden Tür hängengeblieben. Ohne sich umzudrehen lief sie die Straße runter, als wäre sie vom Kontrolleur höchstpersönlich verfolgt gewesen. Aber weder der Bus noch der Kontrolleur waren zu sehen; mit einem tiefen Seufzer griff sie nach ihrem Schlüssel und verschwand im dunklen Inneren des Wohnhauses. Und wer war an dem ganzen Stress wieder schuld? Na er natürlich! Er mit seinem dummen Streit wegen einer Lappalie! Schon die Erinnerung daran brachte sie wieder in Rage und sie ahnte schon, dass sie heute Nacht nicht gut schlafen würde.

Als sie in ihrer Etage ankam, staunte sie nicht schlecht; er stand vor ihrer Eingangstür mit einem niedlichen Blumenstrauß in der Hand. Es tut mir leid wegen vorhin, flüsterte er und küsste sie reumütig aber voller Leidenschaft.

© Ella L.




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